Liebe Ernährungsfachfrau und Equal-Pay-Beraterin, Bäuerin und IT-Influencerin, Existenzgründerin und Mutter, Kommunalpolitikerin und Ehrenamtlerin, Vereinskollegin und Nachbarin – ich könnte in dieser Aufzählung noch eine ganze Weile fortfahren, um alle hier Anwesenden anzusprechen. Ich kann es aber auch ganz kurz machen und sagen: Guten Tag, liebe Landfrauen aus allen Teilen unseres Landes! Wie schön, dass ich heute hier bei Ihnen sein und mit Ihnen Ihr Jubiläum feiern kann. Herzlichen Dank für die Einladung – und herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag!
Ich habe neulich auf Ihrem Instagram-Account ein, wie ich jedenfalls fand, lustiges kleines Video gesehen: In dem Film haben Sie, liebe Frau Bentkämper, zusammen mit dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister "Klischee-Bingo" gespielt. Auf einem Plakat war notiert, was manche Menschen so über Landfrauen denken. Ich kann mir vorstellen, dass Sie alle sich über diese Klischees gelegentlich amüsieren – aber sicher seufzen Sie auch bisweilen ein bisschen über die Hartnäckigkeit solcher Klischees.
Denn das Wort Landfrau, das verbinden viele auch heute noch mit Bäuerinnen und Backrezepten, mit Hauswirtschaft und Hausmitteln. Und all das gehört ja auch wirklich zu den Landfrauen – so ist das oft mit Klischees, ein Körnchen Wahrheit steckt halt drin. Aber was Sie hier alle sind und was Sie alle tun, das ist so viel mehr! Das folgt nicht irgendwelchen Klischees, sondern den Herausforderungen der täglichen Realität im ländlichen Raum. Was Sie tun, ist so vielfältig und verschieden, so traditionell und modern, so leicht und so schwer, wie es das Alltagsleben von Frauen eben ist – und das heißt, die Landfrauen begleiten auch jede Veränderung dieses Alltagslebens, und das seit 75 Jahren.
Diese Realität umfasst eben alles: Im Alltag kann es sehr wichtig sein, zu wissen, wie man als Unternehmerin einen Onlineshop etwa für die eigenen Produkte aufsetzt. Und gleichzeitig kann es sehr erleichternd sein, wenn man weiß, was bei einem kleinen Kind gegen Ohrenschmerzen hilft. Es kann für die Lebensplanung entscheidend sein, gemeinsam eine selbstverwaltete Kita aufzubauen, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Es kann einem Mut machen, sich mit anderen darüber auszutauschen, wie man kommunalpolitisch Verantwortung übernehmen kann. Und es ist wunderbar, Traditionen weiterzugeben wie das Flechten einer Erntekrone.
Ich freue mich jedes Jahr darüber, solch eine Krone – immer an einem anderen Ort in unserem Land, und das im Rahmen einer schönen Zeremonie mit Gottesdienst – überreicht zu bekommen. Ich freue mich, dass wir diese schon abgebrochene Tradition vor ein paar Jahren wieder aufgenommen haben. Wie ich finde, eine gute Gelegenheit, um den Städtern in Erinnerung zu rufen, dass ihr täglich Brot nicht in Supermarktregalen wächst, sondern Menschen hart dafür arbeiten.
Beraten, Mut machen, Traditionen pflegen, manchmal – so stelle ich es mir vor – kommen Sie auch zusammen, um gemeinsam in der Gruppe zu diskutieren, sich zu erleben, einfach nur schön und inspirierend Austausch miteinander zu haben, offen und ehrlich darüber zu reden, wo der Schuh drückt. Auf dem Land – und nicht nur dort – haben die Frauen uns Männern hier oftmals etwas voraus. Wo Männer am Stammtisch oder im Verein eher über Fußball und Politik sprechen, eher jedenfalls als über ihre Schwierigkeiten im eigenen Leben, sind Frauen besser darin, ihre Schwarmintelligenz zu nutzen. Seit mehr als einem Jahrhundert schließen sich Frauen auf dem Land zusammen, um gemeinsam ein besseres, gerechteres, leichteres Zusammenleben zu organisieren.
Sie kommen auch zusammen, um gemeinsam ihre Stimme zu erheben. Denn – und das gehört eben auch zu der Wirklichkeit, von der ich spreche – Frauen wissen aus Jahrhunderten Lebenserfahrung, wie wichtig es ist, sich zusammenzuschließen, weil viele zu lange unter Ungleichbehandlung, unter existenzieller Abhängigkeit, unter schlechterer Gesundheitsversorgung, unter Armut und auch unter häuslicher Gewalt gelitten haben, und manche tun es noch heute. Frauen wissen: Alleine muss man oft stumm bleiben, weil man am kürzeren Hebel sitzt. Aber gemeinsam kann man etwas ausrichten.
Vor 75 Jahren war es eine Landfrau der ersten Stunde, die es treffend auf den Punkt brachte, welche Erwartungen und Wünsche die Frauen hegten, als sie sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu ersten neuen Vereinen zusammenschlossen: Wir wollen nicht betreut werden, wir wollen uns selbst etwas schaffen!
, schrieb diese Frau damals im Württembergischen Wochenblatt für Landwirtschaft. Ich glaube, Sie alle hier kennen die Autorin, es ist eine Ihrer Gründerinnen: Marie-Luise Gräfin Leutrum zu Ertingen, eine Frau nicht nur voller Tatkraft, sondern auch wirklich mit gesellschaftspolitischem Weitblick. Sie hat damals die Initiative ergriffen, um das große Netzwerk zu schaffen, das wir hier heute gemeinsam feiern: den Deutschen Landfrauenverband.
Was die Frauen der Gründungsjahre damals taten, das war mehr als Graswurzelarbeit. Es war Arbeit im Angesicht der Not: Die Gleichschaltung aller Vereinsarbeit unter den Nationalsozialisten, Krieg, Zerstörung, Tod, die Gefangenschaft der Männer – all das hatte gerade die Frauen, auch besonders die auf dem Land, sehr allein hinterlassen. Sie führten Höfe seit Jahren in eigener Regie, hatten ihre Kinder und oft auch Eltern zu ernähren, und dann kamen Frauen, Männer und Kinder, die noch weniger hatten, weil sie auf der Flucht oder vertrieben worden waren, und mussten untergebracht werden.
Das Wort Netzwerkerin kannte man noch nicht – aber genau das waren die Landfrauen, die sich damals zusammenschlossen: Netzwerkerinnen. Sie kämpften gegen die Not und gegen die Vereinzelung. Sie organisierten Zusammenhalt. Und sie bauten mit diesem Zusammenhalt, mit ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement auch gleichzeitig mit am Fundament unserer Republik, unserer liberalen Demokratie – liebe Landfrauen, Sie wissen, dass wir in diesem Jahr den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes feiern. Mit der Gründung Ihres Verbandes waren Sie sogar noch ein kleines Stückchen früher dran.
Von diesen Anfängen, von denen ich berichtet habe, bis ins Heute haben die Frauen inzwischen ein dichtes Netz von mehr als 12.000 Ortsvereinen gewebt, seit dem Fall der Mauer auch im Osten unseres wiedervereinigten Landes. Und jeder Ortsverein ist wie ein fester Knoten in diesem Netz, das sich wirklich über das ganze Land legt und in dem eine halbe Million Frauen organisiert sind, um gemeinsam etwas auszurichten.
Gemeinsam etwas ausrichten – das tun Sie alle einzeln, aber auch als Verband, Sie sind eine wichtige gesellschaftliche Stimme, die dieses Land politisch mitgestaltet. Das Rückgrat im ländlichen Raum! Und Sie vertreten Ihre Interessen auch in der Landes- und Bundespolitik. Auch dafür bin ich hier, um Ihnen von Herzen zu danken. Vielen Dank!
Und wir wissen alle aus eigener Erfahrung, es kostet Zeit und Mühe, in demokratischer Gremienarbeit gemeinsame Positionen zu finden. Die Arbeit, die Sie in Ihren Ausschüssen leisten, ist gesellschaftspolitisch enorm wertvoll. Sie formulieren, was es braucht, um den ländlichen Raum lebenswert zu halten, und das nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft. Sie benennen die entscheidenden Aufgaben, wenn Sie für gleichwertige Lebensverhältnisse streiten und dafür beispielsweise schnelleren Glasfaserausbau, bessere Mobilität und gesicherte Pflegeinfrastruktur fordern.
Es ist gut und notwendig, dass Sie sich einmischen und einbringen. Denn wir alle in dieser Demokratie brauchen den Dialog und den Austausch – und eben auch Klarheit in den Erwartungen. Umgekehrt ist es aber genauso wichtig, dass Politikerinnen und Amtsträger immer wieder vor Ort sind, das Gespräch suchen, verstehen, was die Menschen im ländlichen Raum beschäftigt.
Ich bemühe mich darum, weil ich weiß, dass regelmäßig eher die Probleme und Bedürfnisse der großstädtischen Bevölkerung die politische Agenda dominieren. Deshalb bin ich seit Beginn meiner ersten Amtszeit immer wieder im ländlichen Raum unterwegs und versuche, die Aufmerksamkeit auf den Alltag der Menschen dort zu richten. Seit zwei Jahren verlege ich sogar regelmäßig meinen Amtssitz für einige Tage weg von Berlin, raus ins Land. Und bei diesen Terminen, die wir "Ortszeit" nennen, komme ich mit Zeit in eine kleinere oder mittelgroße Stadt – bewusst so ausgewählt – abseits der Ballungsräume und wirtschaftlichen Zentren der Länder. Es geht mir darum, die Verschiedenheit der Lebensverhältnisse in unserem Land in Erinnerung zu rufen, sicherzustellen, dass auch der ländliche Raum gesehen und gehört wird, dass seine Interessen ernstgenommen werden. Von der elften dieser "Ortszeiten" komme ich gerade zurück – es war die erste in Bayern, dort in der Oberpfalz nahe der Grenze zu Tschechien. Da, wo übrigens Landwirtschaft und Landfrauen, wie ich gesehen habe, stark vertreten sind.
Die Gespräche und Begegnungen bei diesen "Ortszeiten" zeigen mir eines sehr deutlich: Ganz gleich, wie unterschiedlich die Fragen und Themen in diesen Orten sind – wir haben in Deutschland unheimlich viele Bürgerinnen und Bürger, die mit Vernunft und Tatkraft anpacken, nach Lösungen für neue Herausforderungen suchen. Wir haben jede Menge Wissen, Erfahrung, Neugier und guten Willen in diesem Land. Das macht mir Mut, und ich finde, das darf uns Mut machen. Wenn es uns als Gesellschaft gelingt, dieses Wissen, die Erfahrung, den guten Willen und den Mut zu bündeln und gemeinsam anzupacken, dann jedenfalls ist mir um die Zukunft dieses Landes nicht bange.
Landfrau zu sein, das ist nicht überall das Gleiche. Auf dem Land zu leben, das kann – je nachdem, wo man lebt und wie man lebt – sehr Unterschiedliches heißen. In manchen Gegenden liegen ländlich geprägte Gemeinden nah beieinander in eher dicht besiedelten Räumen mit viel benachbartem Gewerbe. Anderswo trennen viele Hektar Feld einzelne Höfe, die nächste Stadt ist gut eine Stunde Fahrt entfernt oder, wie beispielsweise im Nordosten unseres Landes, da liegt die nächste Stadt gleich im Nachbarland Polen.
In Ihrem Netz der Landfrauenvereine haben all diese Unterschiede Platz. Sie verbinden Nord und Süd, West und Ost genauso, wie Sie junge Frauen mit Seniorinnen verbinden und Landwirtinnen mit Ärztinnen, Gärtnerinnen, Professorinnen, Kassiererinnen oder Hausfrauen. Überall, wo Landfrauen zusammenkommen, da packen sie an, organisieren, vermitteln Wissen und Hilfe, und sie bauen vor Ort, wie ich es nenne, eine Infrastruktur des Miteinander: für Pflege- und Hauswirtschaftskurse, für Fahrgemeinschaften oder auch im digitalen Raum für Tauschbörsen, Erfahrungs- und Wissensaustausch.
Ihre Netzwerkarbeit trägt entscheidend dazu bei, unser Land in schwieriger Zeit, in der wir sind, zu stützen. Sie wirken als Brückenköpfe in die Familien, als Ansprechpartner für gesellschaftliche Partner: Wenn der ambulante Pflegedienst einen Hauspflegekurs anbieten möchte, dann wendet er sich häufig an die Landfrauen. Wenn die Schulen einen Ernährungskurs geben wollen, fragen sie die Landfrauen. Und wenn es Tendenzen der Verschärfung im gesellschaftlichen Umgang miteinander, ja, vielleicht sogar der Verrohung und der Radikalisierung gibt, dann gehören Sie zu denen, die das als Erste merken. Ich finde es vorbildlich, dass Sie darauf reagieren und sich und andere in einem eigenen Projekt dazu schlaumachen, wie man vor allen Dingen mit populistischen Scheinargumenten, mit Desinformation umgeht. Ich versichere Ihnen, nie war das notwendiger in den letzten 75 Jahren als gerade jetzt und heute. Herzlichen Dank!
Sie übernehmen jeden Tag als Bürgerinnen Verantwortung dafür, dass Zusammenleben in unserem Lande ganz praktisch gelingt. Ohne Sie wäre dieses Land ärmer und kälter. Sie sind da, wo Sie gebraucht werden. Sie sind Vorbild.
Ihr Engagement ist lebensnah. Es nimmt alle mit. Es hilft im ganzen Land, ganz konkret, jeden Tag. Mit anderen Worten: Ihre Arbeit ist – nein, ich sollte sagen: Sie sind unverzichtbar. Wir können gar nicht genug wertschätzen, wie sehr Sie sich um unser Gemeinwesen verdient machen. Ich danke Ihnen von Herzen und wünsche Ihnen nun einen wunderbaren Geburtstagslandfrauentag!
Machen Sie bitte weiter so, bleiben Sie beisammen! Danke und nochmals herzlichen Glückwunsch zu einem jungen und fröhlichen Fünfundsiebzigsten!